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Mittagspause

von Matthias Franz

 

 

Die von der Bahn spinnen echt. Überstunden, Überstunden, Überstunden. Ich weiß nicht, wann ich die alle noch abfeiern soll. Der reguläre Arbeitstag dauert acht Stunden, aber was ist bei der Bahn schon regulär? Die Züge sind es jedenfalls nicht. Verspätungen wegen technischer Defekte, Verspätungen wegen Personenschaden, Verspätungen wegen zu vielen Güterzügen im Gleis. Was weiß ich! Geht mir auch alles am Arsch vorbei! Die Leute jedenfalls sehen Verspätung und Fahrpreise werden teurer und denken: Leck mich am Arsch, da fahre ich lieber mit dem Auto! Tja, und dann muss die Bahn natürlich Leute entlassen. Und wennde nicht aufpasst, hast du zur nächstmöglichen Zeitpunkt schon eine Kündigung an der Backe. Das mag ja noch angehen, wenn dadurch nicht die Arbeitszeiten länger würden. Die Kollegen werden immer weniger, aber die Arbeit bleibt die gleiche. Jetzt müssen sie eben nur weniger Leute machen. Das war auch so´n Tag, so´n beschissener Regentag. Ich hatte auch noch für einen kranken Kollegen einspringen müssen. Musste dann den ICE von Dortmund nach München fahren – ihr wisst schon über Köln, Frankfurt, Mannheim, Stuttgart undsoweiter. Das war mir echt zu viel. Hatte an dem Tag schon keine Mittagspause gehabt. Früh antanzen, in den ICE, und dann einmal München und zurück. Und dann saß ich zwischen Limburg und Frankfurt-Flughafen in diesem Zug, mein Magen war mächtig am Knurren. Ich hatte eine Käsestulle dabei – aber was bringt mir das, wenn ich keine Pause habe? Ich kann ja als Lokführer noch nicht mal auf Toilette. Schweinerei! Ich hätte zur Post gehen sollen – die haben wenigstens ab und zu mal was zu lachen, wenn sie Ansichtskarten lesen. Aber da bei der Bahn, das ist Leuteschinderei.

Wie gesagt: Ich war zwischen Limburg und Frankfurt-Flughafen, als ich dachte: Eigentlich könntste doch mal ne Pause einlegen. Haste doch auch damals aufm Bau gemacht. Die werden gucken, der Mehdorn und die ganzen Krawattenträger in Frankfurt! Park ich den Zug einfach mal im Tunnel, und dann schauen wir mal, was passiert. Mein kleiner, privater, persönlicher Streik gegen die ganzen Marketing-Fuzzis. Der Ort war gut gewählt, der Zeitpunkt auch: 13.30 Uhr kurz hinter dem Bahnhof Frankfurt-Flughafen. Ich stellte den Zug ab, schaltete die Maschine aus, legte die Füße auf die Konsole und ließ mir in aller Ruhe meine Käsestulle schmecken. Natürlich werden die Schaffner kommen! schoss es mir als nächstes durch den Kopf. Natürlich werden sie kommen! Die wissen ja auch, dass da was nicht stimmt. Also schloss ich vorsichtshalber das Cockpit ab – nicht ohne vorher noch auf Toilette gewesen zu sein. Auch ein Zugführer muss mal pinkeln – auch wenn das der feine Herr Mehdorn nicht weiß!

Ich schloss mich im Cockpit ein, legte die Füße wieder auf die Konsole und aß gemütlich an meiner Käsestulle. Fehlte nur noch eine Kerze und meine Freundin. Dann wäre es richtig gemütlich geworden im Tunnel! Das könnt ihr mir glauben! Aber ihr glaubt nicht, wie sehr das entspannen kann: Eine Käsestulle, die Bildzeitung und dieses düstere Tunnellicht. Geil!

Natürlich ließen die Schaffner nicht auf sich warten. Schon versuchte Simone, die Tür zu öffnen. Sie ist ja eine ganz Süße - blonde Haare, blaue Augen, quiekt immer, wenn man sie kitzelt.

„Sag mal, was ist da drinnen los? Die Fahrgäste werden langsam ungeduldig!“

„Technischer Defekt!“ antwortete ich kauend.

„Was denn für´n Defekt?“

Ich warf ihr ein bisschen Lokführerlatein an den Kopf. Irgendwelche wirr zusammen geschusterten Fachausdrücke. Das wird sie eine Weile beschäftigen. Wenn jetzt bloß nicht der Kalupke kommt! Das ist ein scharfer Hund. Gerüchte besagen, er hätte mal einen Schwarzfahrer aus dem Zug geschmissen. Während der Fahrt. Hat er natürlich nie, denn das wäre vor Gericht gekommen. Aber ihm traue ich das zu. Der hält schon bei alten Omas die Hand auf, die zu unfähig sind, den Fahrkartenautomaten zu bedienen. Der Kalupke. Wichtig ist nur, dass der mich nicht stört. Sonst ist es Essig mit der Mittagspause. Der Kalupke ist nicht so einfach abzuspeisen wie Simone. Aber noch hält er Ruhe. Zum Glück. Dafür kommt jetzt Rolf. Klopft an die Tür.

„Alles in Ordnung, da drin?“

„Ja, versuche gerade, das wieder in Ordnung zu bringen.“

„Soll ich die Zentrale informieren?“

„Nee, lass nur. Das krieg ich auch so hin.“

Gar nicht so einfach, das ganze Zugbegleiterpersonal bei Laune zu halten. Fehlt nur noch, dass der Willi kommt, der Barkeeper im Bistrowagen. Aber der wird froh sein. Die Wartezeiten stärken den Umsatz der Getränke. Insofern sollte mir der Mehdorn dankbar sein. Jetzt bloß nicht Kalupke, bloß nicht Kalupke. Aber es half nichts – da war er auch schon.

„Mach mal die Tür auf. Will mir das ansehen.“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Geht grad nicht. Bin am Löten.“

„Lass bloß die Finger vom Schaltpult. Das soll ein erfahrener Techniker reparieren.“

„Bis der erfahrene Techniker kommt, das kann dauern.“

Zum Glück hatten sie alle keine Ahnung von Technik – auch der Kalupke nicht. Ich hätte ohne weiteres einen Kurzschluss produzieren können, ohne dass jemand dahinter gekommen wäre, dass ich war.

Jetzt fing der Kalupke aber an zu poltern.

„Lass mich rein! Das wird sonst Konsequenzen haben. Ich sag dir, das gibt Ärger.“

„Ich hab doch gesagt: Ich kann grad net.“

„Dann mach wenigstens ne Durchsage. Die Fahrgäste werden ungeduldig.“

„Geht nicht. Die Sprechanlage ist auch kaputt.“

Kalupke verlor die Geduld. Er polterte, was das Zeug hielt. Fünf, zehn Minuten lang. Dann gab er es offensichtlich auf. Jetzt hörte ich, dass er versuchte, die Zentrale anzurufen. Aber im Tunnel gab es keine Funkverbindung. Jedenfalls erreichte er niemanden. Ich hörte ihn fluchen. Dann: „Hoffentlich sind Schwarzfahrer an Bord! Damit ich an jemandem meine Wut auslassen kann!“

Ich war ihn aber los. Auch von Simone und Rolf hörte ich nichts mehr. Ich hatte es geschafft. Jetzt hatte ich meine Ruhe. Als die Mittagspause zu Ende war, fuhr ich weiter nach Frankfurt und von dort bis München.


Kontakt: mail(at)matthias-franz(punkt)de
 
 

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